Ich kann es ja gern zugeben: ich bin kein großer Fernsehsportfan. Meine Frau zwingt mich Samstags, wenigstens eine Halbzeit für ihren Verein mitzufiebern, damit das Sky-Abo wenigstens so tut, als ob es sich lohnt. Ich mache immer schon einen großen Bogen um die Sommer-olympischen Spiele, und jetzt, wo gerade in Korea der dritte Weltkrieg nicht gestartet wird, bin ich auch nur mit sehr halbem Herzen dabei.
Wobei: tatsächlich fand ich als Kind Biathlon schon irgendwie cool, weil da immerhin „in echt“ geschossen wird. Und das verkaterte Neujahrsspringen mit müde vorgekauten Sprungweitenprognosen ist im Lauf der Jahre zu einem willkommenen Ritual geworden. Aber sonst? Sport im TV? Dann doch lieber FailArmy Sports Edition auf Youtube, oder ein neues Skatevideo streamen.
Und jetzt findet schon zum vierten Mal der Olympia+X-Games-Zirkus statt, und am Beispiel der Snowboarder können wir ganz gut ablesen, was uns erwartet.
Ob uns das schmeckt oder nicht, spielt inzwischen keine Rolle mehr, Big Business ist am Start. Und wer ist schuld? Wir selbst. Weil, um mal Klartext zu sprechen: Wenn ein Olympia-Golddigger Shawn White zum dritten Mal bei vier Teilnahmen Gold im Slopestyle holt und dann ankündigt, in zwei Jahren im Sommer auf dem Skateboard dabei sein zu wollen, dann holt uns das auf den Boden des Faktischen zurück. Nix da „Skxxxing is not a sport. It’s a lifestyle!“ Dieser Sport ist genauso im Business angekommen wie Snowboarding. Und zwar auch, weil wir selbst zur Popularität beigetragen haben. Auf so vielen Ebenen, dass es echt nicht leicht ist, sie alle abzubilden…
Ich mache mir die Mühe trotzdem, weil ich überzeugt davon bin, dass es uns allen gut tut, den Tatsachen Raum zu bieten statt irgendwelchen Gerüchten und Befindlichkeiten.
Skateboarding ist olympisch, weil…
- es saugute Bilder fürs TV bietet: danke YT, dass du uns alle darin bestärkst, Influencer als Berufsbild anzugeben, kaum können wir einen Ollie über den Bordstein in Bad Salzuflen zu stehen…
- Skateboarder narzisstische Selbstdarsteller sind, und auf Insta und weiß-der-Geier-was-der-neue-Hot-Shit-ist-Plattform alles rund um sich und ihren Lifestyle posten,
- weil jetzt alle nicht-Berücksichtigten ein klein bisschen beleidigt sind und Reden geschwungen werden im Sinne von „… aber Downhill-/Vert-/Pool-/insert-your-own-skaten ist eh viel telegener, warum ist das denn nicht olympisch?“ und damit den Olympiamachern noch mehr Flausen in den Kopf setzen,
- die Sportler unterscheidbar in ihren Leistungen sind – im Gegensatz zum Rodeln, wo ein Tausendstel einer Sekunde zwischen Gold und Silber unterscheidet. Ein Tausendstel einer Sekunde kann der Mensch ohne technische Hilfe nicht mehr wahrnehmen… wen wundert es, dass die Leute von Snowparks mit DJs, Action rundherum und Hipstern mit Craftbeer und geilen Frauen in der Hand absolut begeistert sind? Statt einen grauen, roten oder blauen verschwommenen Blitz in der Röhre anstarren zu wollen,
- die alten Militärsportarten seit über 40 Jahren vollkommen veraltet sind. Wen interessiert, wer am weitesten springt, am schnellsten rennt oder am besten rudert außerhalb der Zielgruppe von achtjährigen Jungs, wenn wir täglich um die Nase gepudert werden, dass wir flexibel sein sollen, breit aufgestellt und vor allem kompetent statt professionell?
Machen wir uns also nichts vor: Skateboarding gehört zum Plan des IOC, die nächsten 50 Jahre zu überleben, ohne solche Exoten hat sich die Idee, sich alle vier Jahre als Nation zu messen, keine Chance mehr. Selbst mit tollen neuen Sportarten im Portfolio wird sich das IOC auf Dauer unbequeme Fragen stellen müssen. Im Profisport sind vier Jahre eine viel zu lange Periode, ein ambitionierter Sportler modernen Zuschnitts hat doch kein Interesse, sich einmal in vier Jahren potenziell die komplette Karriere zu ruinieren durch einen Unfall bei Olympia, wenn er stattdessen dutzende wesentlich anspruchsvollere und auf ein Nischenpublikum zugeschnittene Formate nutzen kann, um für seine Rente vorzusorgen. Berühmt zu werden. Geliebt zu sein. Und im Anschluss an die aktive Karriere soviel Knowhow angesammelt zu haben, dass er den Rest seines Lebens weiter in der Branche bleiben kann.
Bleibt als Fazit: niemand muss Olympia geil finden. Oder unterstützen. Aber wer Bock drauf hat, der soll das gern machen. Ein Teil unserer Kultur wird sich in Hochglanzfilmen im TV abgebildet sehen. Ein vermutlich wesentlich größerer findet weiterhin auf der Straße statt. Und nervt die Nachbarn. Am Ende eines verschwitzten Nachmittags auf dem Parkplatz bei OBI ist das für die meisten von uns doch alles was zählt. Spaß gehabt, neuen Trick gestanden, 120 neue Likes und mit Kumpels abgehangen. Check.